minoische Kunst: Sakrale Landschaften - Die Wandmalerei

minoische Kunst: Sakrale Landschaften - Die Wandmalerei
minoische Kunst: Sakrale Landschaften - Die Wandmalerei
 
Die Bildwelt der minoischen Wandmalerei wird mit wenigen Ausnahmen durch religiöse Themen bestimmt. Religion und Kult haben wohl auch das Hofleben tief gehend geprägt. Im Gegensatz zur Kunst Ägyptens und des Vorderen Orients fehlen auf Kreta jegliche Hinweise auf herrscherliche Repräsentation und politische Propaganda.
 
Die minoische Wandmalerei ist eine Schöpfung der jüngeren Palastzeit nach 1700 v. Chr. Malereien schmückten Stadtvillen, Landhäuser und natürlich Paläste, wobei die meisten Fresken aus Knossos, dem wichtigsten Zentrum minoischer Kultur, stammen. Neben Wandmalereien, die in echter Freskotechnik auf den feuchten Wandverputz aufgetragen wurden, existieren auch bemalte Stuckreliefs, eine besonders aufwendige Form der Architekturdekoration.
 
Zu den ältesten Beispielen monumentaler minoischer Wandmalerei zählt das Bild des Krokuspflückers aus Knossos; die blau auf dunkelrotem Grund gemalte Gestalt war von dem Ausgräber Sir Arthur Evans zunächst als safranpflückender Knabe rekonstruiert worden. Da inzwischen Fresken aus Knossos und Hera gezeigt haben, dass Affen in der minoischen Kunst blau gemalt wurden, kann man die Figur zu einem Affen ergänzen. Auf dem Bild lassen sich zahlreiche Kunstprinzipien minoischer Malerei erkennen: Die bewegte Hauptfigur ist ohne feste Standlinie in das Bild gesetzt. Krokusknospen und Blüten sowie unregelmäßig marmorierte, durch kurze Bogenlinien konturierte Felsblöcke schaffen einen landschaftlichen Rahmen, der durch eine besondere Perspektive geprägt wird. Pflanzen und Felsformationen wachsen nicht nur aus dem Grund auf, sondern hängen zum Teil auch von oben in das Bild hinein, sodass ein Blickpunkt von oben gewählt scheint. Der Orientierungspunkt, von dem aus das Bild sich entwickelt, ist demnach die Mitte. Diese Art der Raumwiedergabe findet sich auch sonst in der minoischen Flächenkunst, sie ist der Malerei und auch der Siegelschneidekunst eigen. Wir treffen also hier auf verwandte Strukturprinzipien.
 
Die gleiche Kompositionsweise kehrt auf den anmutigen, leider durchweg nur fragmentarisch erhaltenen Zyklen von Naturfresken des 16. Jahrhunderts im Haus der Fresken in Knossos und in der Villa von Hagia Triada wieder. Eine Katze, ein springendes Reh, aus dem Gebüsch auffliegende Vögel, Affen, die zwischen Pflanzengruppen spielen, sind Teile einer bizarren, von reicher Fantasie gestalteten, kaleidoskopartig bunten Bilderwelt, die den modernen, mit der Ästhetik des Jugendstils vertrauten Betrachter vielfach ganz unmittelbar anrührt. Man kann diese Fresken allerdings nicht als naturalistisch definieren. Dagegen sprechen die reizvolle Maserung der Felsflächen, die wie »geschliffenes Harz« wirken, Einzelformen von Efeu, Papyrus und Krokusblüten, die einer sehr strengen Abstrahierung unterliegen, und auch die Farbgebung, die sich nicht an den Naturfarben der Pflanzen orientiert. Die Fresken verknüpfen vielmehr Naturform, ornamentale Stilisierung und die geschilderte Perspektive von oben, der ein zentral gebundenes Raumgefüge zugrunde liegt.
 
Es ist daher auch nicht die Freude an der Schilderung von Natur, die zur Schaffung dieser Freskenzyklen führte. Minoische Wandmalerei als höfische Kunst der Paläste war inhaltlich stark religiös geprägt. So erscheint dann auch im Freskenzyklus von Hagia Triada der Rest einer Architektur, eines Schreines oder Altars, zusammen mit einer als Göttin zu deutenden weiblichen Gestalt.
 
In der Spätzeit der minoischen Kunst, gegen 1400 v. Chr., erstarrt dieser Naturstil. Bestes Beispiel dafür ist ein Fries von Rebhühnern aus der Karawanserei, einem kleinem Empfangsbau südlich des Palastes von Knossos. Die bis dahin unregelmäßig gemaserten, in ihrer Form bizarren, gezackten, vielfältigen Landschaftselemente werden nun zu bandartigen, gleichförmigen Strukturen reduziert. Auch die bewegten Einzelmotive verschwinden. Die Rebhühner in diesem Fries stehen trotz gelegentlich zum Flug angehobener Schwingen statisch auf dem Bildgrund. Ebenso reduziert werden die Pflanzen dargestellt. Dieses Bilddenkmal veranschaulicht in durchaus charakteristischer Weise die Entwicklung der minoischen Kunst der spätesten Palastzeit in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts v. Chr., eine Kunstrichtung die von Bewegung und Vielfalt wegführt zu lebloser Verfestigung. Eine Besonderheit minoischer Malerei stellen die Miniaturfresken dar, deren besterhaltene Beispiele aus dem Palast von Knossos kommen. Thema eines Bildes ist ein dreischiffiges Heiligtum, dessen Mittelteil überhöht ist. Die Fassade wird mit reicher Säulenarchitektur und mit Stierhörnern geschmückt. Links und rechts des Heiligtums lagern Frauen mit reicher, für die minoische Palastzeit typischer Lockenfrisur und der gleichfalls charakteristischen minoischen Hoftracht, die aus einem kurzärmligen Jäckchen, das vorn die Brüste freilässt, und einem reich geschmücken Volantrock besteht. Auch hier ist die Wespentaille verbindliches Stilmerkmal. Die Masse der Zuschauer oberhalb und unterhalb des Heiligtums dagegen wird von den Malern in sehr verkürzter Weise dargestellt. Ein Teil dieser Fläche ist dunkelrot grundiert, ein anderer Teil in einem welligen, spitz zulaufenden Ausschnitt weiß. Auf diese Farbflächen setzt der Maler in sehr schwungvoller und zugleich flüchtiger Umrisszeichnung die Köpfe der zuschauenden Figuren, wobei - dies ist eine übliche Darstellungsweise der minoischen Kunst wie etwa auch der ägyptischen Kunst - die Farbe der Männer dunkelrot ist, jene der Frauen weiß. Ein zweites gut erhaltenes Fresko der gleichen Art schildert einen kultischen Tanz in einem Ölbaumhain. Auch hier wird die Zuschauermenge in vergleichbarer Weise verkürzt dargestellt.
 
Einer späteren Stilstufe gehören kleinformatige Fresken an, deren Figuren sich vor einem neutralen hellen Hintergrund entwickeln. Hierzu gehört etwa ein Fragment aus Knossos, das eine Tänzerin zeigt, deren reiche Frisur in der Bewegung mitschwingt, oder auch das Fresko eines Stiersprungs. Der gleichen Gattung von Fresken gehört ein überaus reizvolles Frauenbildnis an, die «kleine Pariserin«, das Oberteil einer weiblichen Gestalt, die im Profil gemalt ist. Eine reiche Frisur mit typischen Stirnlocken, ein übergroß gezeichnetes Auge und die rot gefärbten Lippen machen den besonderen Charme dieses Frauenbildnisses aus. Auch dieses Bild gehört in einen religiösen Zusammenhang. Andere Fragmente zeigen, dass jeweils eine sitzende weibliche Figur und eine männliche Figur zu einer Art kultischen Gelages vereint waren. Ein knotenartiges Stoffgebilde im Nacken der kleinen Pariserin stellt ein religiöses Symbol dar: Der Kultknoten kehrt vielfach in religiösen Darstellungen wieder, ohne dass sich gegenwärtig seine genaue Bedeutung erklären ließe. Der Hintergrund gliedert sich auf diesem Fresko in hellblaue und weißlich gelbe Farbflächen, die senkrecht gegeneinander abgegrenzt sind. Derartige Hintergrundsgliederungen sind typisch für die späteste minoische Wandmalerei.
 
Eine minoische Entwicklung der späten Palastzeit, das heißt wohl der Jahre gegen 1400 v. Chr., sind die Prozessionsfresken, deren schönste Beispiele Korridore im Südteil des Palastes von Knossos schmücken. Ein Zug von fast lebensgroßen Männern und Frauen, die Gefäße und andere Opfergaben tragen, schreitet in gemäßigter Bewegung auf eine Göttin zu, die im Zentrum des Frieses erscheint. Ein Ausschnitt aus einem anderen vergleichbaren Freskenzyklus ist der Trichterträger von Knossos, das erste Fresko, das überhaupt bei den Ausgrabungen von Sir Arthur Evans im Palast im Jahre 1900 entdeckt wurde. Die Figur, die ein trichterförmiges Gefäß, ein Rhyton, ein Spendegefäß für den Kult, trägt, wird durch einen spiralgeschmückten Metallgürtel um die Wespentaille, einen Schurz mit reicher Musterung, Armreifen, einen Ohrring und ein Siegel am linken Handgelenk als Angehöriger der höfischen Schicht Kretas charakterisiert. Die Hintergrundgestaltung erweist dieses Fresko als Beispiel später kretischer Kunst. Der Trichterträger schreitet vor einem neutral gelb gefärbten Hintergrund, den nur in der Mitte, etwa in der Höhe des Schurzes, ein wellig begrenztes, hellblaues Band unterbricht. Dieses Band in seiner wellenartigen Bewegung unterstützt und fördert den Bewegungsfluss und fasst die in einheitlicher Bewegung ein wenig monoton angeordneten Figuren zu einer Einheit zusammen. Vom oberen Bildrand hängen schematisch gebänderte Geländedarstellungen in den Fries herab. Sie sind Reste der einst so lebendig gezeichneten Geländedarstellungen und erinnern noch an die minoische Zentralperspektive.
 
Eine besonders aufwendige Form minoischer Wanddekoration stellen die flach angelegten, aber kräftig modellierten Stuckreliefs dar, die vielfach Lebensgröße erreichen. Zum bekanntesten Beispiel dieser Gattung gehört der Lilienprinz aus Knossos, der von Sir Arthur Evans wohl fälschlich aus Fragmenten von zwei oder drei Bildwerken rekonstruiert wurde. Dargestellt war nach Evans in einer paradiesisch anmutenden Blütenlandschaft eine nach links gewandte männliche Gestalt, die ihre rechte Hand vor die Brust führt und auf dem Kopf eine reich ausgeschmückte Lilienkrone trägt. Die Lilienkrone begegnet vorzugsweise in der minoischen Symbolwelt als Kopfschmuck von Sphingen; sie dürfte also nicht zu diesem Bildwerk gehören. Der männliche Torso selbst lässt sich nicht genau deuten. Möglich wäre vielleicht einmal ausnahmsweise wirklich ein Bild königlicher Repräsentation, das dann aber in der minoischen Kunst völlig isoliert wäre, oder das Bild eines männlichen Gottes im Augenblick der Epiphanie, der Erscheinung. Als Alternative lässt sich aber auch eine Sportdarstellung nicht ausschließen (ein triumphierender Ringer oder Boxer), denn gerade dieses Bildthema begegnet einem, leider immer nur in sehr kleinen Fragmenten erhalten, auch sonst unter den Stuckreliefs aus Knossos. Weitere Stuckreliefs zeigen gegeneinander aufgestellte Paare von Sphingen an Säulen gebunden. Sie sind wohl als Wächtertiere im Palast zu deuten. Von einem im gestreckten Galopp dahinspringenden Stier mit landschaftlicher Hintergrundgestaltung blieb leider nur der Kopf erhalten. Dieses Bildwerk war im nördlichen Eingangsbereich des Palastes von Knossos angebracht.
 
Prof. Dr. Hartmut Matthäus
 
 
Demargne, Pierre: Die Geburt der griechischen Kunst. Die Kunst im ägäischen Raum von vorgeschichtlicher Zeit bis zum Anfang des 6.vorchristlichen Jahrhunderts. München 1965.
 Matz, Friedrich: Kreta und frühes Griechenland. Prolegomena zur griechischen Kunstgeschichte. Neuausgabe Baden-Baden 31979.
 Snyder, Geerto A.S.: Minoische und mykenische Kunst. Aussage und Deutung. München u.a. 1980.

Universal-Lexikon. 2012.

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